Das soziale Leben klonaler Ameisen

Forschungsbericht (importiert) 2024 - Max-Planck-Institut für chemische Ökologie

Autoren
Ulrich, Yuko E.
Abteilungen
Lise-Meitner-Gruppe „Sozialverhalten“
Zusammenfassung
Soziales Leben ist eine weit verbreitete Strategie, die einzigartige Vorteile bietet, aber auch Kosten mit sich bringt, wie z.B. eine erhöhte Verbreitung von Krankheiten. Ameisen sind hochgradig sozial und dennoch für Experimente zugänglich, was sie zu idealen Systemen macht, um zu untersuchen, wie Tiere Kosten und Nutzen der Sozialität abwägen. Experimente mit klonalen Räuberameisen könnten uns helfen zu verstehen, warum einige Individuen einer Gruppe vor anderen infiziert werden und warum sich Krankheiten in einigen sozialen Gruppen schneller ausbreiten als in anderen.
 

Viele Lebewesen, vom Bakterium bis zum Menschen, verbringen zumindest einen Teil ihres Lebens in sozialen Gruppen. Soziales Leben hat viele Vorteile: Die Mitglieder einer Gruppe können zusammenarbeiten, um gemeinsame Ziele zu erreichen, oder sich auf bestimmte Aufgaben spezialisieren (z.B. arbeitsteilig vorgehen), was die Effizienz in Bereichen wie Verteidigung, Jagd oder Bauen erhöht. Dies könnte erklären, warum soziale Arten wie Menschen, Ameisen oder Termiten viele Ökosysteme dominieren. Das Leben in Gruppen hat jedoch auch Nachteile: Ein Preis, der während der Covid-19-Pandemie deutlich wurde, ist das erhöhte Risiko von Krankheitsausbrüchen, das mit hoher Lebensdichte und häufigen sozialen Interaktionen einhergeht.

Superorganismus Ameise

Ameisen haben wahrscheinlich einige der am höchsten entwickelten Gesellschaften unter den sozialen Arten. Alle etwa 15.000 beschriebenen Ameisenarten sind sozial und bilden Kolonien mit Dutzenden bis Millionen von Individuen. Diese Kolonien sind so stark integriert, dass sie oft wie ein einziges Individuum und nicht wie eine Gruppe erscheinen, weshalb Forscher sie als „Superorganismen“ bezeichnen. Ameisen sind nicht nur extrem sozial, sondern eignen sich auch gut für Laborexperimente, da sie klein und leicht zu halten sind. Sie sind daher ein hervorragendes Modell, um zu untersuchen, wie Tiere Kosten und Nutzen von Sozialität in verschiedenen Kontexten abwägen.

Die klonale Räuberameise als Modell für die Untersuchung sozialer Interaktionen in Gruppen

Selbst bei Ameisen ist es aufgrund der Komplexität ihrer sozialen Gruppen schwierig zu untersuchen, wie Individuen miteinander interagieren oder sich infizieren. Jede Gruppe besteht aus vielen Individuen, die sich in Alter, Körpermerkmalen, Genetik und Geschichte unterscheiden. Es ist schwierig zu wissen, wer zu einer Gruppe gehört, und noch schwieriger, die Gruppenzusammensetzung zu kontrollieren.

Eine ungewöhnliche Ameisenart bietet eine Lösung: Die Räuberameise Ooceraea biroi ist ein Beispiel für natürlich vorkommende klonale Tiere. Hier bestehen die Kolonien ausschließlich aus genetisch identischen Arbeiterinnen, die sich asexuell und im selben Rhythmus fortpflanzen. Diese Eigenschaften ermöglichen die experimentelle Zusammenstellung „maßgeschneiderter“ sozialer Gruppen und die Erzeugung zahlreicher Replikate jeder Variante. Um das Verhalten zu messen, verwenden wir ein System, mit dem wir individuell markierte Ameisen in vielen Kolonien parallel verfolgen können (Abb. 1), sodass wir genau wissen, welches Individuum was tut und wer mit wem interagiert.

Eine der ersten Erkenntnisse, die wir mit diesem Instrument gewonnen haben, ist, dass selbst in kleinen Kolonien identischer Ameisen (mit gleichaltrigen Klonen) unterschiedliche Verhaltensweisen auftreten: Einige Ameisen verbringen die meiste Zeit im Nest, vermutlich um sich um die Larven zu kümmern, während andere mehr Zeit außerhalb des Nestes verbringen, vermutlich um Nahrung zu finden [1]. Es entsteht eine Arbeitsteilung und damit ein Verhalten, das wir beobachten können. Mit dieser Erkenntnis können wir in Zukunft viele weitere Fragen beantworten, zum Beispiel zur Ausbreitung von Krankheiten.

Arbeitsteilung und Infektionsrisiko

Wir wissen intuitiv, dass soziale Gruppen ein unterschiedliches Infektionsrisiko aufweisen können, aber der Grund dafür ist oft schwer zu verstehen. Da jedes Gruppenmitglied einzigartig ist, können wir nicht wissen, wie Alter, genetische Veranlagung, Verhalten oder soziale Interaktionen das Infektionsrisiko beeinflussen. Mit Hilfe der klonalen Räuberameise konnten wir zeigen, dass das Infektionsrisiko von Verhaltensrollen abhängt: Ameisen, die mehr Erkundungsaufgaben übernehmen, infizieren sich häufiger mit parasitischen Fadenwürmern (Nematoden) als solche, die im Nest bleiben. Die Verteilung der Infektionen spiegelt also die Arbeitsteilung wider. Unerwartet war, dass infizierte Ameisen ihr Verhalten ändern: Sie reduzieren ihre Erkundungsaktivitäten und schließen sich ihren Schwestern im Nest an (Abb. 2) [2]. Wir wissen noch nicht, wie diese Verhaltensänderung zustande kommt, aber es ist wahrscheinlich, dass sie die Übertragung der Nematoden von den Erkundungs-Ameisen auf Nest-Ameisen erleichtert und somit langfristig dem Parasiten (und nicht den Ameisen) nützt.

Wenn wir den Blick vom Individuum auf die Gruppe richten, stellt sich die Frage, warum einige soziale Gruppen widerstandsfähiger gegen Krankheiten sind als andere. Gibt es zum Beispiel bestimmte Formen der sozialen Organisation, die die Ausbreitung von Krankheiten verlangsamen können? Die Theorie sagt voraus, dass bestimmte Eigenschaften von sozialen Netzwerken bei Tieren (z.B. Dichte, räumliche Organisation) die Übertragung von Krankheitserregern verlangsamen sollten, aber diese Vorhersagen sind noch weitgehend ungetestet.

Die klonale Räuberameise bietet die Möglichkeit, diese Vorhersagen rigoros zu testen, indem soziale Netzwerke manipuliert und reproduziert werden. Im Labor erzeugen wir experimentelle soziale Netzwerke mit einer Reihe von epidemiologischen Eigenschaften, setzen diese Netzwerke verschiedenen Parasiten und Krankheitserregern aus, darunter Pilze, Fadenwürmer und Viren, und messen, wie schnell und in welchem Ausmaß diese durch die Netzwerke übertragen werden. Ausgehend von dem, was wir bereits über ihr Verhalten wissen, gehen wir davon aus, dass die sozialen Netzwerke von jungen Ameisen und Ameisen mit einem bestimmten genetischen Hintergrund engmaschiger geknüpft sind, was die Ausbreitung von Krankheiten begünstigt. Ob sich dies bewahrheitet, bleibt abzuwarten.

Mit modernen Instrumenten zur Quantifizierung von Verhalten, einem experimentellen epidemiologischen Ansatz und einem einzigartigen Modellsystem wollen wir den Zusammenhang zwischen sozialer Organisation und der Ausbreitung von Krankheiten aufklären.

Literaturhinweise

Ulrich, Y.; Saragosti, J.; Tokita, C. K.; Tarnita, C. E.; Kronauer, D. J. C.
Fitness benefits and emergent division of labour at the onset of group living
Nature 560, pp. 635 – 638 (2018)
Li, Z.; Bhat, B.; Frank, E. T.; Oliveira-Honorato, T.; Azuma, F.; Bachmann, V.; Parker, D. J.; Schmitt, T.; Economo, E.; Ulrich, Y.
Behavioural individuality determines infection risk in clonal ant colonies
Nature Communications 14, 5233 (2023)

 

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