Kohlweißlinge nutzen zwei Darmenzyme für maximale Flexibilität bei der Deaktivierung von Senfölbomben
Die Schädlinge setzen je nach Zusammensetzung der Abwehrgifte ihrer Wirtspflanzen zwei unterschiedliche Enzyme zur Entgiftung ein, die sich gegenseitig ergänzen
Wie Forschende am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen der Universitäten Stockholm und Tokyo herausfanden, nutzen Raupen des Kohlweißlings zwei Darmenzyme, um die Senföl-Bombe, die wichtigste Verteidigungsstrategie ihrer Wirtspflanzen, effektiv zu entschärfen. Kohlweißlinge scheinen in der Lage zu sein, durch Feinabstimmung ihrer Entgiftungsenzyme, die verschiedenen Senfölglycoside, Abwehrstoffe von Kohl und verwandten Pflanzen, zielgerichtet unschädlich zu machen. Mittels Genom-Editierung waren die Forschenden in der Lage, die Funktion der einzelnen Enzyme nachzuweisen und ihre Wirksamkeit zu bestätigen. Die Ergebnisse der aktuellen Studie stellen sie in PNAS vor (Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, DOI: 10.1073/pnas.2208447119).
Kreuzblütengewächse, wie der Kohl, der Raps, der Meerrettich oder der Senf, haben eine spezielle Abwehrstrategie gegen Fressfeinde, die „Senföl-Bombe“ genannt wird. Sie speichern Senfölglycoside als Abwehrstoffe, die bei Raupenfraß, wenn also das Pflanzengewebe verwundet wird, mit Myrosinase-Enzymen reagieren. Die Myrosinasen spalten die Senfölglycoside und als Resultat entstehen giftige Senföle. Der scharfe Geschmack von Senf und Meerrettich ist auf die Senfölbombe zurückzuführen.
Forschende unter der Leitung von Yu Okamura und Heiko Vogel vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena haben nun die Entschärfung der Senföl-Bombe durch den Kohlweißling, einen wichtigen Schädling auf Kohlpflanzen, genauer untersucht. Frühere Forschungsarbeiten hatten zwei Raupen-Enzyme, die bei der Entgiftung eine zentrale Rolle spielen, und die sie kodierenden Gene identifiziert: das NSP-Enzym (nitrile specifier protein), das die potenzielle Senföl-Bombe so manipuliert, dass statt der giftigen Senföle ungiftige Nitrile entstehen, sowie das MA-Enzym (major allergen), von dem die Forschenden annahmen, dass es ebenfalls für das Überleben von Kohlweißlingsraupen auf Kreuzblütengewächsen wichtig ist. Die NSP- und MA-Gene sind Schwester-Gene und jeweils aus einem Darmprotein mit unbekannter Funktion entstanden, das in vielen Schmetterlingsarten zu finden ist. Beide Enzyme kommen ausschließlich in Kohlweißlingen und anderen Arten der Familie der Pieridae (Weißlinge) vor, deren Wirtspflanzen Senfölglycoside enthalten. „Wir fragten uns, ob tatsächlich beide Enzyme für die Entgiftung der Senfölglycoside und die Überlebensfähigheit der Raupen von Bedeutung sind. Immerhin konnten frühere Studien zeigen, dass in verwandten Schmetterlingsarten, die nicht mehr an Pflanzen mit Senfölglycosiden fressen, die Enzyme im Verlauf der Evolution verloren gingen. Dies weist darauf hin, dass es offenbar kostspielig für Insekten ist, die Aktivität der Enzyme in Abwesenheit der Abwehrstoffe aufrechtzuerhalten. Außerdem wollten wir wissen, ob sich die Funktion der beiden Enzyme je nach Zusammensetzung der Senfölglycoside in verschiedenen Kreuzblütengewächsen unterscheidet,“ fasst Heiko Vogel die Ausgangsfragen der Studie zusammen.
Zentral für die Funktionsprüfung der NSP- und MA-Gene war die Genomeditierungstechnik CRISPR-Cas9, die es ermöglichte, Raupen zu züchten, denen entweder das NSP-Gen, das MA-Gen oder beide Gene fehlten. Diesen Raupen fehlten somit auch die entsprechenden Enzyme für die Entgiftung der Senfölglycoside. Anschließend wurde an Pflanzen mit verschiedenen Gehalten von Senfölglycosiden überprüft, wie sich diese Raupen entwickelten. Raupen, denen nur eines der beiden Enzyme fehlte, waren noch in der Lage, auf Pflanzen mit hohen Konzentrationen der Abwehrstoffe zu überleben, auch wenn ihr Wachstum eingeschränkt war. Sobald jedoch beide Gene funktionsunfähig gemacht worden waren, konnten diese Raupen nicht mehr auf ihren natürlichen Wirtspflanzen wachsen und überleben. „Wir waren überrascht über diese Ergebnisse, denn die Rolle des MA-Enzyms bei der Interaktion zwischen Kohlweißlingen und Wirtspflanzen war bislang unklar,“ sagt Erstautor Yu Okamura.
Für Kohlweißlingsraupen sind also beide Enzyme, NSP und MA, wichtig, um die Senfölbombe ihrer Wirtspflanzen zu entschärfen. Da sich NSP und MA hinsichtlich ihrer Entgiftungskapazität gegenüber verschiedenen Senfölglycosiden unterscheiden, können Raupen die Aktivierung der NSP- und MA-Gene in Abhängigkeit vom Profil der Senfölglycoside ihrer Wirtspflanzen fein abstimmen. Wenn den Raupen eines der Enzyme fehlt, wachsen sie langsamer, und die Stärke der Einschränkung des Wachstums hängt auch von den in den Wirtspflanzen enthaltenen Senfölglycosiden ab. „Mit Hilfe einer ganzen Reihe von Erkennungs-, Regulierungs- und Entgiftungsmechanismen passen Kohlweißlinge genau an, wie sie verschiedene Senföl-Bomben aus dem Spektrum ihrer Wirtspflanzen entschärfen, wobei sie sowohl auf verschiedene Senfölglycoside als auch auf deren Aktivierung reagieren,“ sagt Heiko Vogel.
Durch den Einsatz von Genom-Editierungstechniken zeigt die Studie, dass sowohl NSP als auch MA die Kohlweißlingsraupen in die Lage versetzt, höchst flexibel Senfölbomben zu entschärfen, was entscheidend dafür ist, dass sie sich an ein breiteres Spektrum von Kreuzblütengewächsen anpassen konnten. „Wir glauben, dass unsere Arbeit die Bedeutung der Entstehung solcher Gene für pflanzenfressende Insekten im Wettrüsten mit den chemischen Abwehrkräften ihrer Wirtspflanzen beleuchtet. Der Wettstreit zwischen Insekten und ihren Wirtspflanzen beinhaltet mehr als das bloße Vorhandensein chemischer Abwehrstoffe und deren Entgiftung. Für den Erfolg der Schädlinge sind auch die Regulierung und Aktivierung von Entgiftungsenzymen wichtige Faktoren solch komplexer Interaktionen,“ fasst Yu Okamura zusammen.